Der König
Unbeweglich stand der König da und blickte auf das Schlachtfeld herab. Um ihn herum tobte noch immer der Kampf um die Vorherrschaft und die Macht über dieses Land. Wie lange diese Auseinandersetzung nun schon dauerte, daran konnte er sich nicht erinnern; ihm war aber, als sei es schon eine Ewigkeit her, dass er mit seiner Frau und dem Gefolge friedlich dieses Fleckchen Erde regiert hatte, wo die Bauern die Felder bestellten und ohne zu murren ihren Zehnten abgaben, wo er mit der Königin, die er auch als seine Königin betrachtete, als Dame seines Herzens, auf ihren Pferden Ausritte machen konnte, sorglos wie früher, als sie beide noch Kinder gewesen waren. Schon damals hatten sie sich ausgemalt, wie es wohl wäre, selber Kinder zu haben. Nun, bisher hatten sie noch keine bekommen. Aber das hatte auch noch Zeit...Waffenklirren und Kriegsgeschrei riss ihn aus seinen Träumereien und zerrte ihn in die Wirklichkeit zurück. Seine Männer setzten sich gerade wieder gegen einen heimtückischen Angriff zu Wehr, den die Schergen der dunklen Macht verübten. Fast gleichgültig sah er zu, wie Fußvolk und Reiter miteinander rangen - oder sollte er lieber sagen gegeneinander? Für kurze Zeit verlor er sich in philosophischen Betrachtungen über die merkwürdigen Ungereimtheiten seiner Sprache.
Dieses Scharmützel war genau wie alle anderen vorher auch - auf keiner Seite der beiden Parteien gab es große Verluste, aber niemand konnte vorrücken oder sich zurückziehen ohne dabei das eigene Leben zu gefährden.
Nein, er hatte diesen Kampf wirklich nicht gewollt, er war dazu gedrängt worden. Eines Tages hatte er die Gefahr erkannt, als er in der Ferne die Heerscharen des Gegners sich wie schwarze Gewitterwolken zusammenziehen sah. In breiter Front waren sie gekommen, und er hatte sein Volk überzeugen können, dass Angriff in diesem Fall die beste Verteidigung sei - natürlich dachte er dabei in erster Linie an seine eigene Sicherheit und die seiner Frau. Sollten die anderen ruhig gegen den Feind angehen (dafür waren sie ja schließlich da, oder?) - er wollte lieber im Hintergrund bleiben und aus sicherer Entfernung dirigieren.
Seltsamerweise war es daraufhin zu einem schwerem Zerwürfnis zwischen seiner Frau und ihm gekommen - sie war zwar immer schon sehr couragiert gewesen, aber dass sie nun aktiv, Seite an Seite mit den einfachen Bauern und Soldaten kämpfen wollte, nein, das konnte er nicht verstehen. Es hatte Streit gegeben und böse Worte. Sie hatte ihm vorgeworfen, er sei fett geworden und faul, könne sich ja kaum noch bewegen! Insgeheim wusste er, dass sie Recht hatte; er hatte sie immer um ihre gertenschlanke Figur beneidet und sie wegen ihrer eleganten und sportlichen Beweglichkeit bewundert und begehrt. Sie war immer ein Vorbild gewesen, nicht nur für ihn, auch für ihr Volk. - Und eben dieses wolle sie jetzt nicht im Stich lassen, hatte sie gesagt und war gegangen.
Jetzt hielt er Ausschau nach ihr - tatsächlich, da war sie: wie ein Blitz fuhr sie in die gegnerischen Reihen und schlug ein paar dieser kleinen schwarzen Teufel nieder. Sie wütete verheerend unter ihnen! Er war stolz auf sie, trotz aller persönlichen Meinungsverschiedenheiten. Doch was war das? Plötzlich wurde sie eingekreist - immer dichter wurde der Ring der feindlichen Krieger um sie herum! Verzweifelt versuchte sie auszubrechen, rannte gegen die Massen an, doch es war zu spät - niemand konnte ihr mehr helfen.
Mit Tränen in den Augen musste er mit ansehen, wie sie von den Fremden umgebracht wurde, eliminiert, einfach ausgelöscht. Da wusste er, dass er verloren war. Er und sein ganzes, inzwischen beträchtlich dezimiertes Volk, das nun dieser großartigen Frau beraubt war, an die es - wie auch er - immer geglaubt hatte und deren Verlust es jetzt um jede Hoffnung brachte und um die Kraft zu kämpfen.
Sein Reich brach zusammen. Von allen Seiten kamen die Schreckensmeldungen. Die Späher und die Wachen in ihren Elfenbeintürmen berichteten vom gesammelten Vormarsch der feindlichen Soldaten. Was sollte er tun? Ohne seine Frau fühlte er sich so verlassen und einsam... Der Kampf war verloren, das wusste er sicher. Resigniert und voller Furcht zog er sich zurück, floh vor den Schergen des fremden Königs. Doch seine Verfolger waren in der Überzahl und auch wesentlich schneller als er. Jetzt hatten sie ihn! Von allen Seiten kamen sie, stürmten auf ihn zu!
Verzweifelt rief er seine Soldaten zu Hilfe, wollte sich hinter ihnen verstecken, doch die meisten waren im Kampf gefallen und der Rest war zu schwach, ihn zu befreien. Panisch sah er sich um - er hatte keine Chance zu entkommen, die Häscher des Bösen hatten ihn gestellt. Es gab nur noch eine Möglichkeit - da vorne die Deckung! Hier war er sicher - er war umzingelt, aber man konnte ihm nicht erreichen; er konnte jeden Angriff mühelos abwehren. Nur hatte er auch nicht die Möglichkeit auszubrechen, der Feind hätte ihn sofort getötet, sobald er einen Fluchtversuch wagte.
Der König fasste einen Entschluss. Er wollte sich nicht aushungern zu lassen, um dann doch klein beigeben zu müssen. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, und mit aller Würde die ihm noch blieb ergab er sich.
"Matt!" sagte der eine Schachspieler. "Wollen wir noch mal?"